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SPD Köpenick-Nord

Menschen willkommen heißen

Integration

Die Einrichtung einer Wohncontainerunterkunft für Flüchtlinge im Allende-Viertel hat in den letzten Wochen für viel Wirbel gesorgt. Als die Entscheidung für den Standort Alfred-Randt-Straße 19 am 20. Oktober 2014 bekannt gegeben wurde, waren viele Menschen überrascht – Bezirkspolitiker, Engagierte in der Flüchtlingsarbeit und nicht zuletzt die Anwohnerinnen und Anwohner.

Überrascht waren viele wahrscheinlich nicht darüber, dass eine weitere Unterkunft errichtet wird – denn wir alle wissen um die Situation der Flüchtlinge in der Welt, die Bewegungen von Menschen nach Europa, nach Deutschland, nach Berlin. Wir alle haben gesehen, dass die Zahlen deutlich steigen und wir haben auch gesehen, dass die Menschen real kommen. Und wer in der Realität ankommt, dem muss auch ein Dach über den Kopf angeboten werden.

Flüchtlinge – das war lange ein vergessenes Thema in unserem Land. „Flüchtlinge“ – das war ein Begriff, der noch mit dem Weltkrieg verbunden wurde oder mit der Deutschen Teilung – alles ganz weit weg. Viel wird derzeit an die Zeit vor 25 Jahren erinnert, als Deutschland glücklich und friedlich eine Revolution begann, die zur Deutschen Einheit führte. Es war aber auch die Zeit, als West-Berlin 100.000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Vordringlichste Aufgabe des Senats war es seinerzeit, Notquartiere zu schaffen. Es wurden sogar Turnhallen beschlagnahmt, um Menschen einen Schlafplatz zu bieten. Wir wollen heute diese Situation nicht mehr. Und im Gegensatz zu damals ist die Flüchtlingssituation in Berlin heute sogar als entspannt zu vergleichen. Auch bis Mitte der neunziger Jahre blieben die Flüchtlingszahlen in Berlin hoch und sind mit den heutigen Zahlen nicht vergleichbar,

Berlin hat es damals geschafft, die Menschen unterzubringen. Berlin wird es auch heute schaffen.

Und doch ist es für uns Kommunalpolitiker eine neue Situation. Und so ist auch die Überraschung über Standortentscheidungen zu erklären. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass eine Chance verpasst wurde, die Bezirke in die Verantwortung bei der Suche nach geeigneten Standorten für eine Wohncontainerunterbringung für Flüchtlinge zu nehmen. Es entspricht jedenfalls nicht einem besonders modernen Politikstil, verschiedene gesellschaftliche Akteure vor vollendete Tatsachen zu stellen und keine Reaktionszeit mehr zu bieten.

Eines war jedenfalls von Anfang an klar bei der Entscheidung für die Wohncontainerstandorte: bei den derzeit drastisch steigenden Flüchtlingszahlen und dem bevorstehenden Winter läuft die Zeit davon, um für die Menschen eine Lösung zu finden – eine Lösung, die da bedeutet, dass sie eine angemessene Unterkunft erhalten und in Sicherheit leben können. Beides mussten diese Menschen bis dahin aufgeben.

Ich denke, ich hoffe, es ist bei Verantwortlichen auf Landesebene angekommen, dass neben dem Prozess einer schnellen und angemessenen Unterbringung von Menschen, die geflüchtet sind auch ein Prozess der Akzeptanzgewinnung bei der aufnehmenden Bevölkerung gehört.

Überraschung, Empörung, Frust, Wut – das waren die Reaktionen von Menschen nach der Bekanntgabe der Standortentscheidung. Ja, auch, aber zaghaft: wie kann ich helfen? Das konnte doch nicht wahr sein, dass im gleichen Viertel eine weitere Unterkunft errichtet wird. In der Tat – Ziel des Landes – und auch immer Position des Bezirkes – war eine gleichmäßige Verteilung von Unterkünften über die Stadt. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass es diese gleichmäßige Verteilung nie gegeben hat, weil auch in der Vergangenheit vorhandene geeignete Unterkünfte zur Verfügung stehen mussten, also zunächst ein Ort zur Unterbringung existieren musste und die Menschen dort selbstverständlich untergebracht wurden. Und so gab und gibt es einige Einrichtungen schon lange in der Stadt, teils Jahrzehnte – sei es die Flüchtlingsunterbringung in Marienfelde für 700 Menschen, seien es die Lichtenberger Standorte oder in Treptow-Köpenick die Einrichtung in der Köpenicker Landstraße. Sie alle funktionierten und funktionieren seit Jahrzehnten. Sie wurden häufig gar nicht wahrgenommen in der unmittelbaren Umgebung. Ob das für die Integration so gut war und ist, sei dahingestellt. Scheinbar wurden diese Orte für einige erst ein Problem, als an anderer Stelle neue hinzukamen. Warum auch immer dann die funktionierenden Einrichtungen ein Problem sein sollten.

Aber zurück zum Allende-Viertel. Mit der Eröffnung des Allende-Hauses in der Salvador-Allende-Straße 89-91 gab es bereits eine engagierte Bürgerschaft, die nicht nur der Mittler zu den übrigen Anwohnern war, sondern auch eine wesentliche Unterstützung für die Flüchtlinge bot. Es gab und gibt eine Kommunikationsplattform für Probleme, aber eben vor allem einen freundlichen Empfang für die Flüchtlinge. Dieses Engagement erleben wir auch in anderen Einrichtungen, ob nun in Grünau oder in Adlershof in der Radickestraße. Den vielen engagierten Unterstützerinnen und Unterstützern, den Teilnehmern an den Runden Tischen, den Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit insgesamt sei an dieser Stelle Dank gesagt.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass die Entscheidung für die Wohncontainerunterkunft im Allende-Viertel auch einen Stimmungsumschwung in Teilen der Bevölkerung verursacht hat. Es war zu besichtigen, dass der Protest auf die Straße kam, dass er sich in lauten Parolen Bahn brach – und ja, es war und ist auch zu sehen, dass in diese Protesten Rechtsextreme nach Zulauf suchen, dass sie dort ihre menschenfeindlichen Parolen verbreiten, ja, dass sie Menschen in Angst und Schrecken versetzen wollen. Das, meine Damen und Herren, wollen wir verhindern. Es geht hier gar nicht um Zuschreibungen, wer wohin gehört. Es geht darum, welches Menschenbild jeder einzelne vertritt. Und da kann es eben nicht sein, dass wir Menschen, die noch gar nicht da sind, die wir noch gar nicht kennen, mit Hass begegnen.

Und wovon reden wir hier eigentlich? Wir haben derzeit 20.000 Flüchtlinge in der Stadt. In der Türkei gibt es gerade über 800.000 geflüchtete Menschen, in Jordanien sogar 1,5 Millionen Menschen. Dort, ja, dort herrschen unhaltbare Zustände. Und es ist notwendig, dass die Weltgemeinschaft insgesamt auch in der Flüchtlingsfrage zusammensteht und sich solidarisch zeigt.

Mich haben so einige Debatten in sozialen Netzwerken ziemlich erschüttert. Da ist mit Vorurteilen von Kriminalität und Gewalt gespielt worden – Vorurteile, die sich an keinem anderen Ort bestätigt haben. Und ja, da ist der eine oder andere Bürger auch über Grenzen gegangen. Für mich ist jedenfalls sehr deutlich eine Grenze überschritten, wenn unsere Bürgerinnen und Bürger in sozialen Netzwerken über mögliche Alternativstandorte für die Containerunterkunft diskutieren und sie ganz schnell gefunden werden. So fielen dort die Begriffe „Sachsenhausen“ und ein anderer Bürger ergänzte willfährig „Buchenwald“.

Wo sind wir eigentlich in Deutschland, in Berlin und in unserem Bezirk angekommen, wenn unsere Bürgerinnen und Bürger Derartiges, derartiges Menschenverachtendes diskutieren?!

Das historische Gedächtnis ist doch ein vergessliches, leider. Vielleicht erinnern wir uns mal wieder etwas mehr.

Vernachlässigt wurde in der Vergangenheit auch die Auseinandersetzung mit Flucht und Fluchtursachen in der Welt. Dabei gibt es auch hier Engagierte in unserem Bezirk – ich nenne nur die Eine-Welt-Arbeit innerhalb und außerhalb der Lokalen Agenda. Hier haben sich Menschen zusammengefunden, die über den Tellerrand unseres Wohlstandslandes hinausschauen und armen Regionen in der Welt helfen wollen. Nicht nur dieser Blick – auch tätiges Handeln täte uns gut. Genau wie die Eine-Welt-Arbeit noch zu wenige Unterstützer hat, so ist auch das Interesse an Entwicklungshilfepolitik zu gering.

Was ist jetzt zu tun? Es bleiben eine Reihe von Fragen zu beantworten – Fragen von besorgten Anwohnern bei den Einrichtungen, was sie dort erwartet, wen sie erwarten, welche Auswirkungen dies auf das Lebensumfeld hat, wie die Integration den Menschen in Schule, Kitas und sozialen Einrichtungen läuft usw. Und natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass es auch Probleme geben kann. Wie es überall Probleme geben kann, wenn Menschen, sogar viele Menschen zusammenkommen. Da ist ein deutsches Hochhaus aber auch nicht besser als eine Flüchtlingsunterkunft. Das wird man doch noch sagen dürfen.

Probleme sollen und dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden – im Gegenteil. Eine größtmögliche Transparenz hilft auch wilden Gerüchten entgegenzuwirken. Land, Bezirk und Sicherheitsbehörden sollen allen möglichen Problemen nachgehen, sie aufklären und auch Lösungen suchen. Wir setzen hierbei auch auf die Runden Tische, auf engagierte Anwohner, auf professionelle Heimbetreiber.

In den letzten Wochen haben wir im Bezirksamt unzählige Briefe und E-Mails beantwortet, Gespräche geführt, Einrichtungen besucht – um zu informieren und aufzuklären. Mein ausdrücklicher Dank gilt hier dem Integrationsbeauftragten Herrn Postler und dem Leiter des Polizeiabschnitts Herrn Knapp für ihr Engagement. Sie haben zugehört, informiert, aufgeklärt und die eine oder andere Frage weitergegeben und auch neue erfahren. Wir werden dies als Politik und Verwaltung weiter tun müssen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass sich die BVV in der letzten Sitzung ausführlich mit dem Thema beschäftigt und sich ebenfalls positioniert hat. 

Wir müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehört, dass wir Menschen, die auf der Flucht sind, beschützen. Wer verlässt schon gern seine Heimat? Vielleicht sogar für immer? Wer lässt sogar Familienangehörige zurück? Fragen wir doch mal nach den Schicksalen der Flüchtlinge und spekulieren nicht so viel über angebliche Fluchtgründe. Und lassen wir doch mal die Vorurteile über Kriminalität und Gewalt hinter uns, wenn Flüchtlinge noch gar nicht da sind. Es ist ja so schön einfach, alles Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben. Wir sollten Menschen, egal woher, immer willkommen heißen: es kann der Arzt darunter sein, der uns später behandeln wird, der Wissenschaftler, der hier seine Forschung fortsetzt oder der Ingenieur, der unsere Wirtschaft voranbringt. 

 

 

Homepage Oliver Igel

 
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