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SPD Köpenick-Nord

Zur Hassliebe zwischen Bezirken und Senat in Berlin – ein weiterer Anstoß zu Veränderungen in der Hauptstadtverwaltung

Allgemein

Es wird Zeit, dass Frühling und Sommerfrische in die Rathäuser einzieht.

Dieses ewige Hin und her zwischen Senat und Bezirken, dieses Zuschieben von Schuld statt ehrlich gemeinter Verantwortung - nervt. Es muss Klarheit her, was wie in dieser Stadt auf Verwaltungsebene besser laufen kann und sollte. Ich will mit diesem Debattenbeitrag einen Akzent aus meiner Sicht und aus meiner Erfahrung als Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick seit 2011 setzen.

Vorbemerkung:

Das Papier mag etwas lockerer geschrieben sein und ist ernst gemeint. Niemand wird wegen der darin getätigten Aussagen „angeklagt“, muss sich angegriffen fühlen oder es sogar als Rücktrittsaufforderung missverstehen. Es sind mehrere Papiere im lang andauernden Streit der Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung geschrieben worden. Sie nebeneinander zu legen und insgesamt zu diskutieren lohnt sich. Vielleicht kann dieses Papier an der einen oder anderen Stelle doch noch einen neuen Akzent setzen, wenn nicht, bedaure ich das sehr.

 

Zwischen Bezirken und Land Berlin gibt es wenig Einmütigkeit, Einigkeit herrscht auf jeden Fall darin, sich genüsslich darin zu ergehen, was aktuell nicht gelingt, worüber Bürgerinnen und Bürger frustriert sind, woran der andere gerade einmal wieder schuld ist und was der jeweils andere nicht auf die Reihe bekommt und einfach versaubeutelt. Wenn es in Form einer Kasteiung geschehen würde, würde dies sogar einen Zweck erfüllen. Es lohnt sich zwar, sich immer mal wieder zu vergegenwärtigen, was alles nicht so gut lief oder läuft. Zu den Favoriten dieser Fehlleistungen gehören sicher die Unterbringung von Flüchtlingen, die Baustellenkoordination und/oder Anordnung von Verkehrsregelungen durch die Verkehrs(ab)lenkung Berlin, die Digitalisierung der Verwaltung, Kraftfahrzeugzulassungen und nicht zu vergessen der Flughafen oder die Flughäfen. Aber der eine liegt ja in Brandenburg. Alles keine Ruhmesblätter für Berlin – und nebenbei: genau das sind eindeutig Aufgaben, die dem Senat in seiner Ehre zugeordnet sind. Dass da nichts bis wenig funktioniert und das wenige auch nicht gut, führt aber nicht gleich dazu, dass überlegt wird, den Senat abzuschaffen. Das diskutiert man immer nur dann gern in Bezug auf die Bezirke, wenn deren Aufgaben mal wieder schief laufen. Und da gibt es auch einige, was nicht verschwiegen werden soll: die berühmten Bürgerämter zum Beispiel, aber das ist Vergangenheit – die haben sich mit mehr Personal aus dem Tief herausgehangelt. Oder im Moment in einigen Bezirken die Standesämter. Eine neue Qualität hat die Diskussion über die Schulsanierungen – klassisch eine Aufgabe der bezirklichen Hochbauämter. Es soll – das ist politischer Wille von Senat und Bezirken überall in den Schulen saniert und auch neu gebaut werden. Dafür wird erstmalig in Größenordnungen vom Senat Geld zur Verfügung gestellt. Man möchte gar nicht mehr aufhören das zu loben und wird jäh gestoppt – denn was passiert: eine elendige Diskussion darüber, wer was macht und machen soll und wer was kann und was nicht. In den nächsten zehn Jahren sollen sämtliche Berliner Schulen mit Sanierungsmaßahmen angefasst worden sein. Im Moment sieht es eher danach aus, zehn Jahre lang über das Wie und von wem und warum zu diskutieren. So schafft es Berlin aus einem bevorstehenden Sieg noch vor dem Startsignal eine Niederlage herbeizudiskutieren. Statt die Bezirke doch einmal einfach machen zu lassen, soll die Verantwortung für Schulneubau und Schulsanierung auf drei (!) Behörden und Institutionen (Bezirke, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Howoge) verteilt werden. Es fehlt noch eine vierte Behörde, welche die drei anderen koordiniert. Aber das wird auch noch kommen. Immerhin nicht bauend mischen ja jetzt noch zuständigkeitshalber die Senatsbildungsverwaltung und die Finanzverwaltung in dem Konzert mit. Vielleicht übernimmt die Landeskalibriereinrichtung auch noch eine Aufgabe. So verliert der eine oder andere schon vor dem ersten Hammerschlag die Lust am Neubau oder der Sanierung. Verwaltung verändert sich ständig – und so ist es selbstverständlich erlaubt, immer wieder über Strukturen zu reden. Und so wäre es überhaupt nicht verwerflich, wenn am Ende einer Diskussion eine Neuorganisation der Schulsanierung und des Schulneubaus steht. Das können stärkere Kooperationen der Bezirke sein oder Eigenbetriebe oder – zum Grauen der Bezirke – eine neue Landesbehörde. Aber bis dahin sollen die jetzt Verantwortlichen gut und weiter arbeiten können und dürfen. Vielleicht machen sie es am besten, wenn man sie lässt.

Forderung:

Die Schulsanierungen beginnen jetzt. Fangt an! Die Diskussion über Strukturen muss nebenbei passieren – konzentriert und bestimmt, aber nicht zu Lasten der jetzt notwendigen Praxis, nämlich mit dem Bau loszulegen.

 

Berlin hat ein gespaltenes Verhältnis zu seinem öffentlichen Dienst. Das gilt für die Berlinerinnen und Berliner und selbst für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden. Dabei ist es wie in jeder großen Institution auch: es gibt die unermüdlichen, fleißigen Arbeiterinnen und Arbeiter, die Ideengeberinnen und Ideengeber, die Innovativen, die Engagierten und es gibt einfach diejenigen, die nicht wollen und auch diejenigen, die nicht können. Das muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen. Trotzdem kann man einen solchen großen Tanker mit dieser Fracht organisieren, und zwar gut und auch mit guten bis sehr guten Ergebnissen. Damit die Fracht nicht ausläuft, müssen wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser motivieren – das geht auch, aber nicht nur mit Geld. Es haben ja nun alle erkannt, dass die Bezahlung im öffentlichen Dienst Berlins im Gegensatz zu anderen Bundesländern und dem Bund deutlich schlechter ist und hier etwas getan werden muss. Es geht aber auch um eine angemessene Bewertung jeder einzelnen Stelle sowie um Aufstiegschancen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und noch mehr um die Arbeitsbedingungen: technisch gut ausgestattete Büros, solide und saubere Arbeitsatmosphäre, dienstlich nutzbare (Elektro-)Fahrräder, aber auch die Möglichkeit, von zu Hause per Telearbeit tätig zu werden. Die Verwaltungsbüros müssen nicht mit goldenen Türklinken ausgestattet werden, gemalerte Wände, dichte Fenster und saubere Toiletten (müssen nicht zwingend unisex sein, aber man kann damit leben) wären zunächst ausreichend. Die Bezirke haben sich ja im Hinblick auf den Zustand der ein oder anderen Schule gar nicht mehr getraut, ordentlich in Dienstgebäude zu investieren, um die Substanz zu erhalten – nur um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, für die eigenen Büros werde alles ordentlich gemacht, aber nicht für die Schulen. Beides muss gemacht werden.

Zur Personalmotivation gehört aber auch dazu, dass die Bezirke nicht weiter darunter leiden müssen, dass für gleiche Tätigkeiten in einer Hauptverwaltung mehr Geld bezahlt wird als in den Bezirken. Das öffnet der Abwanderung Tür und Tor.

Die Berlinerinnen und Berliner müssen zu ihrem (!) öffentlichen Dienst stehen. Er muss ihnen auch mehr Wert sein. Wer nicht bereit ist, mehr Geld in die Verwaltung zu stecken, für den werden Schlangen in Bürgerämtern, Standesämtern und Kfz-Zulassungsstellen nur der Anfang von Ärger bedeuten. Diese Dienstleistungen stehen zwar oft im Fokus, vergessen werden aber darf nicht, dass viele Leistungen zur Existenzsicherung vieler Menschen schnell und sicher über die Behördenbühne gehen sollten: ob nun Grundsicherung, Wohngeld oder Elterngeld – hier geht es nicht um die einmalige Anmeldung des neuen Autos oder einen neuen Reisepass, sondern schlicht darum, wie man seine laufenden Kosten im nächsten Monat bestreiten kann. Und dort brauchen wir gute, motivierte Kolleginnen und Kollegen, die es schnell und gut möglich machen, berechtigte Leistungen zu gewähren.

Forderung:

Neben besserer Bezahlung gehören auch bessere Arbeitsbedingungen zu einem attraktiven öffentlichen Dienst. Es muss stärker investiert werden – in die Köpfe und in die Gebäude und technische Infrastruktur des öffentlichen Dienstes.

 

Dabei dürfte man neben all dem negativen auch mal sagen dürfen, dass Berlin und seine Regierung und Behörden und weiteren Institutionen in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten Enormes geleistet und viel erreicht haben: von der grandiosen Steigerung sozialversicherungspflichtiger Tätigkeiten und Senkung der Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen, über dem Anstieg der Berlin-Besucherinnen und –Besucher, dem Neubau von Wohnungen und dem Milieuschutz, der Ansiedlung nationaler und internationaler Firmen und Konzerne bis hin zu kulturellen Höhepunkten, der Offenheit und der Toleranz. Es wird auch niemand nach Berlin gezwungen, die Menschen ziehen freiwillig in die Hauptstadt. Man könnte begeistert sein über diese Stadt.

Stattdessen herrscht Kleinkrieg in dieser Stadt – zwischen Dorf und Herrschaft.

Das alles ist ungesund für die Hauptstadt – aber wer das aus- und anspricht, wird noch mit verächtlichen Blicken und mehr bestraft.

Es fehlt Berlin und seiner Verwaltung an Selbstbewusstsein. Die Bezirke machen sich unnötig klein. Die Hauptverwaltung bläst unnötig mit den Backen. Berlin könnte sich Respekt in der gesamten Bundesrepublik verschaffen, nicht als Hauptstadt unseres Landes, sondern allein schon als Großstadt mit mehr als 3,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Und die wiederum sind nun einmal in zwölf Großstädte, genannt Bezirke aufgeteilt, die respektvolle 240 000 bis über 400 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählen – mithin mehr als so manche Landeshauptstadt. Erfurt, Kiel, Magdeburg, Mainz, Saarbrücken, Schwerin, Wiesbaden – alles Landeshauptstädte, die das auch stolz in ihrem Titel tragen und jeweils bevölkerungsärmer als die meisten Berliner Bezirke sind. Könnte sich tatsächlich jemand vorstellen, dass es in diesen Städten keine Oberbürgermeisterin oder einen Oberbürgermeister gibt? Dass in diesen Landeshauptstädten eine Oberbehörde sagt, was in der Stadt geschehen soll? Undenkbar!

In Berlin kann man sich offensichtlich vorstellen, Großstädte nur noch von Leitenden Magistratsdirektoren führen zu lassen – nichts gegen diese Beamtinnen und Beamten, aber ist das gegenüber der Bevölkerung tatsächlich die richtige Ebene?

Nein, die Bezirke in Berlin müssen nicht nur weiterhin politisch geführt werden, die politische Verantwortung muss auch klarer als bisher erkannt, wahrgenommen und dafür Rechenschaft abgelegt werden. Deshalb muss es das „politische Bezirksamt“ geben, also die Koalitionsbildung zur Wahl eines Bezirksamtes, das die Parteien der Koalition enthält. Niemand würde auf die Idee kommen, dass der Senat von Berlin nach dem Proporz der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gebildet wird oder die Bundesregierung sich aus allen im Bundestag sitzenden Parteien zusammensetzt. Die Bezirkspolitik leidet doch genauso darunter, dass die politische Verantwortung gern einer anderen im Bezirksamt vertretenen Partei zugeschoben wird, weil – so ist die Rechtslage – das einzelne Bezirksamtsmitglied laut Verfassung sein Ressort eigenständig und ohne Weisung des Bezirksbürgermeisters führt. Weder ein Bezirksbürgermeister noch ein anderes Bezirksamtsmitglied sollen sich künftig herausreden können und über ihre Machtlosigkeit klagen, deshalb fordere ich klare Verhältnisse und klare Ansagen: für die Bürgerinnen und Bürger soll eindeutig sichtbar sein, wer im Bezirk das Sagen hat. Und wer das Sagen hat, der soll es auch tun. Das bedeutet, dass auch innerhalb einer Koalition der Bezirksbürgermeister in der gesamten Verwaltung das Sagen haben und ein Weisungsrecht bekommen muss. Eine klare „Bezirksregierung“ ermöglicht erst eine eindeutige „Bezirksopposition“. Genau das ist die Chance für alle Parteien. Wir dürfen keine Angst vor der Demokratie und vor demokratischen Entscheidungen haben: Ja, ein „politisches Bezirksamt“ bedeutet für die großen Parteien, dass das Abo auf Bezirksamtsposten ein Ende hat. Es fährt kein Schlafwagen mehr zur Macht. Das ist alles anstrengend, wertet aber die Politik sowohl in Opposition als auch in Regierung der Bezirke auf. Die Bezirksamtspolitiker können sich nicht mehr herausreden, verbessern aber durch die Koalitionsbildung interne Absprachen. Die Oppositionspolitiker können auf Bezirksebene Konzepte entwickeln, die sich – wenn sie bei der nächsten Wahl in die Bezirksamtsregierung gewählt werden – dann auch umsetzen lassen können und müssen. Damit hat auch die „Resolutionspolitik“ in den Bezirksverordnetenversammlungen ein Ende, in denen alles und jedes beschlossen werden konnte und durfte – gegebenenfalls völlig folgenlos, weil es immer einen Grund gab, Dinge politisch dann nicht umzusetzen und es im Zweifelsfall einem anderen Bezirksstadtrat und seiner Unwilligkeit zugeschoben wurde.

 

Forderung:

Das „politische Bezirksamt“ ist lange genug aufgeschoben worden. Es muss jetzt kommen.

 

Konflikte zwischen den Ebenen lassen sich durch bessere Absprachen lösen. Egal, ob ein politisches Bezirksamt kommt, das wiederum in Opposition zum Senat und seiner Konstellation stehen kann oder nicht – diese Situation gibt es heute auch schon – es ist notwendig, stärker zwischen diesen Ebenen politisch zu werden. Die zwölf Berliner Bezirke sind so unterschiedlich, dass auch die Senatspolitik selten aus einem Guss für alle Bezirke laufen kann. Die Probleme zwischen Neukölln und Treptow-Köpenick sind so eklatant unterschiedlich, dass darauf jeweils anders mit Konzepten und Lösungen eingegangen werden muss. Allein deshalb wäre es ein Irrweg, jeden Bezirk mit „Musterämtern“ auszustatten.

Senat und Bezirke müssen sich gemeinsam zu Konzepten und Lösungen bekennen und dabei politischer als bisher werden. Das berechtigte Jammern der Bezirke über zu wenig Ressourcen, um adäquat auf Probleme zu reagieren oder politisch so zu agieren, dass diese gar nicht erst auftreten, kann ein Ende haben, wenn zwischen Bezirken und Senat mit Hilfe von Zielvereinbarungen auf Augenhöhe Probleme und konkrete Lösungen benannt werden. Dies muss mit Verpflichtungen auf beiden Seiten verbunden werden. Mit den Bündnissen für Wohnungsneubau und Mieterberatungen zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und allen Bezirken ist ein erster Anfang gemacht worden. Daneben existieren noch kleinteilig eine überschaubare Anzahl an weiteren Zielvereinbarungen. Sie alle sollten systematisch vereinbart werden. Künftig sollte zwischen jedem Bezirk und dem Senat jedes Jahr eine Zielvereinbarung abgeschlossen werden, in denen Probleme benannt werden und sich die Bezirke zu abrechenbaren Lösungen verpflichten wie die in dem Bündnis genannte Zahl von Neubaugenehmigungen für Wohnungen. Im Gegenzug muss der Senat dafür zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Themen dieser Zielvereinbarungen können und sollen so unterschiedlich wie die Bezirke sein – und die Bürgerinnen und Bürger könnten sich im vorhinein in diesen Prozess sogar einbringen. Diese Zielvereinbarungen sollen nicht die gesamte Bezirkspolitik ersetzen, aber sie sinnvoll ergänzen und ebenfalls in der Öffentlichkeit Transparenz und Akzeptanz für politische Entscheidungen schaffen.

 

Forderung:

Senat und Bezirke sollen in jährlichen Zielvereinbarungen politische Schwerpunkte ihres Handelns und die Untersetzung mit Ressourcen verhandeln, beschließen und darüber gegenüber der Bürgerschaft Rechenschaft ablegen.

   

Die Verwaltung erstickt in Vorschriften und anderen Regelungen. Für so ziemlich jede Lebenslage gibt es ein Gesetz, eine Verwaltungsvorschrift, eine Verordnung, ein Rundschreiben – schon diese Kategorien sind nicht vollzählig. Wenn irgendwo am Wegesrand ein Pilz verschimmelt und daraufhin ein Bürger zu niesen anfängt, lauert an der nächsten Ecke schon ein fleißiger Verwaltungsmitarbeiter, der Abhilfe kennt: vermutlich ist eine Pilz-Vergrämungs-Verordnung erster Klasse die beste Lösung. Und das arme Ordnungsamt muss die Umsetzung überwachen. Alles sicher gut gemeint, aber vielleicht machen wir uns mal ehrlich und erkennen, dass wir nicht jede Lebenslage regeln können und sollten. Gerade in der Hauptstadt. Die digitale Revolution in der Verwaltung sollte bei der Umstellung auf elektronische Aktenführung auch dazu genutzt werden, ein „paar“ Vorschriften abzuschaffen und nicht erst noch die dazu gehörigen Formulare zu digitalisieren.

Schön zum Streichen sind zum Beispiel die „Verordnung über die Festsetzung und Einhaltung von Stellenobergrenzen für die unmittelbare und mittelbare Verwaltung des Landes Berlin (Stellenobergrenzenverordnung)“ oder auch schön für alldiejenigen unzähligen Besitzerinnen und Besitzer von Rindern, Schweinen und Schafen im Land Berlin: „Verordnung über die Erhebung von Beiträgen zur Tierseuchenentschädigung für das Kalenderjahr XXXX“. Und gern noch ein drittes Beispiel, weil es ja immer heißt, dass von der Geburt bis zum Tode alles geregelt wird:  Es wird auch, was selbstverständlich erscheint oder erscheinen sollte in einer Verordnung wie dieser geregelt: „Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes“.  Gegen manche Dinge kann sich aber auch der Senat nicht wehren, zum Beispiel, wenn Bundesrecht zwingend in Landesrecht umgesetzt werden muss. Deshalb haben wir auch diese landwirtschaftlich für den Ackerbau in Berlin eminent wichtige Verordnung: „Verordnung zur Einteilung landwirtschaftlicher Flächen nach dem Grad der Erosionsgefährdung durch Wind und Wasser (Erosionsschutzverordnung – ESchV)“. Und schließlich, um nicht missverstanden zu werden: es gibt auch viele Verordnungen, die Sinnvolles und Positives regeln. Und wenn sie nicht so komplizierte Titel hätten, würden sie noch sympathischer sein, wie die „Verordnung über die Anerkennung förderlicher Zeiten bei der erstmaligen Stufenfestsetzung nach § 28 Absatz 1 Satz 2 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Überleitungsfassung für Berlin für die Laufbahnfachrichtung Bildung (Anerkennungsverordnung förderliche Zeiten – FöZBildVO)“. Viel Freude beim Lesen.

 

Forderung:

Berlin muss seine Vorschriften ausmisten und auf das notwendige Maß reduzieren und sich auf die für Stadt wichtigen Regelungsbedarfe konzentrieren. Es müssen stärker Verordnungen schlicht mit Verfallsdatum versehen werden.

 

Berlin muss Grenzen nach Brandenburg überwinden. Als Außenbezirk möchte man mitunter lieber halbwegs unabhängiger Landkreis in Brandenburg sein als Bezirk der Hauptstadt, der lange und laut rufen muss, um gehört zu werden. Unsere Nachbarbürgermeister in Gemeinden oder Städten hantieren zwar mit kleineren Zahlen – Bevölkerung und Finanzmittel – aber sie haben mitunter mehr in der Hand, um direkt entscheiden zu können. Welche Einschränkungen ein Bezirksbürgermeister mit bis über 400 000 Einwohnern hat, kann sich so mancher Brandenburger Bürgermeister mit 15 000 Einwohnern nicht vorstellen. Das führt zu Kopfschütteln, gerade dann, wenn man grenzüberschreitend zusammenarbeiten will, sollte und eigentlich auch muss. In Berlin muss dann gut und gern mal durch den Bezirksbürgermeister an den Senat verwiesen werden, wenn der Brandenburger Bürgermeister oder die Bürgermeisterin selbst entscheiden kann.

Dabei liegt die Zukunft „draußen“ – am Rande Berlins in den Bezirken an der Grenze zu Brandenburg und auch in den angrenzenden Gemeinden und Städten. Sie blühten schon in den letzten Jahren erfreulicherweise auf und werden das weiterhin. Das muss eine Chance für eine bessere Zusammenarbeit bei der Schaffung und Nutzung von Infrastruktur sein. Das kann und soll auch ein Lösungsansatz für Berlin sein, wenn es darum geht, mehr Wohnflächen zu schaffen, aber auch Orte für Arbeitsplätze. Dafür müssen sich der öffentliche Nahverkehr und die Radewegeverbindung genauso verbessern, wie Straßenverbindungen. Auch auf anderen Gebieten wie Sportanlagen oder der Ärzteversorgung müssen die Randgebiete in Berlin und Brandenburg stärker als bisher voneinander profitieren. Es gibt die regelmäßigen Zusammenkünfte der Länder auf politischer Ebene, gemeinsame Behörden und eine gemeinsame Landesplanung. Aber auch da ist mehr drin. Und vor allem müssen die Bürgerinnen und Bürger stärker in diesen Prozess eingebunden werden und ihre Wünsche äußern dürfen. Das soll auch eine emotionale Nähe zwischen Berlinern und Brandenburgern schaffen helfen.

Forderung:

Berlin und Brandenburg muss nicht nur über große Infrastrukturprojekte stärker zusammenwachsen, sondern auch über kleinere Projekte, die in den Bezirken und Umlandstädten gemeinsam geplant werden, weil sie für die Bevölkerung gemeinsam benötigt werden: Straßen, Nahverkehr, Feuerwehr, Polizei, Sport, Kultur etc.

 

Berlin hat zwar eine Menge Wasser, ist aber keine Hansestadt. In der Diskussion zwischen Land und Bezirken in Berlin wird zwar so gut wie gar nicht nach Brandenburg geschaut, obwohl genau das richtig wäre, sondern viel lieber in ein anderes Bundesland, weil es sich um einen Stadtstaat handelt: Hamburg. Die Hansestadt Hamburg sollte in diesem Fall aber tatsächlich etwas weiter wegbleiben. Berlin und Hamburg mögen wie viele Städte gemeinsame Probleme haben, aber dennoch gibt es genügend Unterschiede, die einen schnell die Finger davon wegnehmen lassen sollte, an eine ähnliche Verwaltungsstruktur zu denken. In Hamburg haben an der einen Stelle die Bezirke weniger zu sagen, an anderen Stellen wieder mehr im Vergleich zu Berliner Bezirken. So verhält es sich dann auch beim Hamburger Senat. Das alles ist historisch gewachsen. Dabei wurde das Hamburger System in den letzten Jahrzehnten weit weniger durchgeschüttelt als das Berliner: durch die Deutsche Einheit, die Regierungssitzentscheidung und –realisierung, diverse Verwaltungsreformen und dabei besonders die Bezirksfusion und schließlich der systematische Entzug von Personal und Geld in Zeiten des Sparzwangs. Hamburg kann froh sein, dies nur als Außenstehender beobachtet zu haben. Gern wird behauptet, in Hamburg laufe es auf Bezirksebene besser, weil Fachbeamte die Bezirksämter leiten würden. Das ist schlicht falsch – es gibt genügend Beispiele, in denen Hamburger Bezirke lange und gut von Männern und Frauen geleitet wurden, die zuvor Bürgerschaftsabgeordnete oder Senatoren waren. Und natürlich blieben und bleiben diese Menschen politisch. Anders funktioniert dies auch in Hamburger Bezirken nicht. In Hamburg lebt das „politische Bezirksamt“. Wenn man also eines von Hamburg lernen sollte, ist es das: der Grundkonflikt zwischen Bezirken und Senat existiert nicht, er ist gelöst. Und das kann Vorbild sein – ansonsten sollten die deutlich größeren Berliner Bezirke nicht weniger Kompetenzen behalten bzw. erhalten.

Hamburg sollte und darf aber nicht aus unserem Gedächtnis gestrichen werden, wenn es darum geht, von der dortigen Verwaltung zu lernen. Es kann aber durchaus sein, dass Hamburg einiges bei den in diesem Papier genannten Punkten schlicht besser macht: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst besser ausstattet und motiviert, weniger Vorschriftendrangsalierungen vornimmt und vor allem mehr Einigkeit zwischen Bezirken und Senat zu den Zielen der Stadt herrscht.

 

Forderung:

Statt gierig nach dem Hamburger Modell zu schauen, sollte Berlin lieber eine eindeutige Aufgabenteilung zwischen den Ebenen der Bezirke und Senat anstreben und durchsetzen. Sie sollte so klar sein, dass jeder Bürger und jede Bürgerin diese Aufgabenteilung durchschauen kann und eindeutig zuordnen kann. Das mag zu Aufgabenverschiebungen in beide Richtungen führen, aber nicht daran rütteln, dass beide Ebenen politisch gesteuert werden sollten.

Oliver Igel, März 2018

 

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